Brief der BI an die Mitglieder des Gemeinderats und des Bauausschusses (20.3.2024)

Der folgende Brief wurde im Anschluss der Bauausschusssitzung am 4.3.2024 von der BI-GLIK mit der Bitte um eine Rückmeldung verschickt. Es gab drei Rückmeldungen, darunter ein Schreiben von Frau Granold, in dem sie versichert, „dass die Ausführungen der BI im weiteren Verfahren berücksichtigt werden“. In einer Rückmeldung wurde darauf hingewiesen, dass es in Bezug auf neue Bebauungen viele Anfragen von Wurzelkindern“ gäbe, die gerne in Kl-Wi bleiben würden und Bedarf sähen“, eine weitere Rückmeldung „vermisst die Berücksichtigung der Sichtweise derer, die nach Wohnraum streben, um Klarheit über alle Bedarfe zu haben und eine Abwägung schlussendlich darauf zu stützen.“

Sehr geehrte Frau Granold, Mitglieder des Klein-Winternheimer Gemeinderats und des
Bauausschusses,

in den Unterlagen zur Bauausschusssitzung am 4.3.2024 wurden die Pläne für die Bebauung der Bereiche „Am Wingert“, „Kreuzstraße“ und „Bäckersgarten“ erstmals als Dokumente öffentlich präsentiert. In der Diskussion wurde erneut erwähnt, dass die weitreichenden Pläne Teil einer langfristigen Zielsetzung zur Erweiterung von Klein-Winternheim entlang der Südostflanke sind.
Um diese grundsätzliche Zielsetzung geht es uns mit diesem Schreiben:

  • Wir begrüßen, dass der Anteil an freistehenden Einfamilienhäusern zugunsten einer dichteren Bebauung gegenüber früheren Vorschlägen verringert wurde, dass nun drei Objekte für das altersgerechte Wohnen inklusive einer kleinen Grünfläche angedacht sind und dass durch die Kreiswohnungsbaugesellschaft preisgünstigere Wohnungen gebaut werden können.
  • Wir begrüßen es ebenfalls, dass sich die Fraktionen mehr Zeit für die Diskussion der Pläne wünschen und den Vorlagen zum jetzigen Zeitpunkt nicht zugestimmt haben.
  • Trotz der genannten positiven Entwicklungen sehen wir weiterhin einen Widerspruch zum Entwurf des Leitbilds der Gemeinde, in dem der Satz steht: „Dem Siedlungsdruck wird durch die Instrumente der Bauleitplanung standgehalten.“
  • Dass es in beliebten Ballungsgebieten derzeit einen Siedlungsdruck gibt, ist nicht abzustreiten. Der Wunsch, durch massiven Neubau Wohnraum zu schaffen und so die Preise zu reduzieren ist weitverbreiteter „Zeitgeist“. Argumente aus früheren Diskussionen über die demographische Entwicklung oder über die zunehmende Versiegelung finden selten Berücksichtigung. Wir finden, dass diese Aspekte bei der Diskussion in der Gemeinde unbedingt berücksichtigt werden müssen, und möchten hierzu einige grundsätzliche Anmerkungen machen:

1. In welcher Relation stehen das Wachstum der Bevölkerung und der Bedarf an Wohnraum?
Die Anzahl der Wohnungen in Deutschland ist von 1995 bis 2022 um 7,4 Millionen gestiegen, die Bevölkerung in diesem Zeitraum aber nur um ca. 3 Millionen Menschen gewachsen (https://www.destatis.de/). Die bereits deutlich negative Bilanz der Geburten und Sterbefälle wird sich in den nächsten Jahren verschärfen. Das Bevölkerungswachstum beruht derzeit ausschließlich auf Zuwanderung, die allerdings europaweit reduziert werden soll. Der Mangel an Wohnraum in Teilen Deutschlands liegt also vornehmlich an der deutlich ansteigenden Wohnfläche pro Person.
Es gibt einen zu geringen Anteil von preisgünstigen Wohnungen, der sich durch den drastischen Abbau bestehender Sozialwohnungen weiter verringert.

2. Was ist die Zielsetzung für eine Begrenzung der Versiegelung? Wie kann man zusätzliche Versiegelungen vermeiden?
Mit der Überarbeitung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie hat die Bundesregierung Anfang 2018 das ursprüngliche Ziel, nach 2020 nicht mehr als 30 Hektar pro Tag zu versiegeln, auf 2030 verschoben. Ab 2050 soll es keine Nettoversiegelung mehr geben. Diese Ziele gelten EU-weit. Die derzeitige Versiegelungsrate bundesweit und auch in Rheinland-Pfalz ist allerdings viel höher. Dies gilt ebenso für Klein-Winternheim. Wenn z.B. alle geplanten Bebauungsmaßnahmen, inklusive der Ausschöpfung des Gewerbegebiets, innerhalb von 10 Jahren durchgeführt würden, dann wäre der Flächenverbrauch/Jahr rund achtmal höher als das bundesweite Ziel (Fußnote 1). Es gibt diverse Möglichkeiten einen Dorfcharakter zu erhalten und Wohnraum zu schaffen, ohne übermäßige Versiegelung:

  • behutsame Innenverdichtung,
  • attraktive Angebote zur „Verkleinerung“ vor Ort im Alter,
  • Motivation zur Aufteilung von Wohnraum in bestehenden Einfamilienhäusern,
  • aktive Kontaktaufnahme und unterstützende Beratung bei Leerstand, sowie
  • generell ein größeres Angebot von kleineren, kostensparenden Einheiten im Ort und
  • eine klare Bevorzugung von Reihen-/Doppelhäusern gegenüber freistehenden
    Einfamilienhäusern.

3. Wie groß ist der Bedarf an Wohnraum in Klein-Winternheim?
Das statistische Landesamt macht regelmäßig Vorhersagen für das Bevölkerungswachstum auf Verbandsgemeindeebene. Wenn man diese Vorhersage auf Klein-Winternheim herunterbricht, dann wird die Einwohnerzahl zwischen 2020 bis 2040 um zusätzliche 220 Personen wachsen. Bis Ende 2022 wurden davon bereits 56% durch Neubauten abgedeckt. Mit der Umsetzung der Gebiete „Ortsmitte entlang der Hauptstraße“ und „Am Wingert“ ist das erwartete Bevölkerungswachstum deutlich vor 2040 erreicht. Werden zusätzlich die Gebiete „Kreuzstraße“ und „Bäckersgarten“ umgesetzt, wird die Bevölkerung ungefähr doppelt so stark steigen wie vorhergesagt (12% mehr Personen). Parallel wird eine Verdichtung im Ort zu einem zusätzlichen Bevölkerungsanstieg führen.

4. Wie soll Klein-Winternheim in 10 Jahren aussehen? Wie viele Baugebiete soll es noch geben?
Das Ergebnis der Dorfmoderation war hier klar: Klein-Winternheim soll Dorf bleiben und sich nicht in ein Mittelzentrum wie Nieder-Olm entwickeln. Die derzeit diskutierten Pläne für Ebersheim dürfen keine Blaupause für uns sein (Fußnote 2). Stattdessen sollten wir die Entwicklung gerade in Klein-Winternheim, das bereits in kurzer Zeit mehrere starke Wachstumsphasen durchgemacht hat, bremsen und die Auswirkungen auf Kindergärten, Grundschule und vor allem den Verkehr sehr
sorgfältig durchdenken. Leider wird darüber unseres Erachtens zu wenig gesprochen. Dazu kommt die Frage der Versorgung vor Ort durch Einzelhandel, ein dem Ort angemessenes gastronomisches Angebot, Plätze zum Verweilen im Ortskern und einiges mehr (siehe Ergebnisse der Dorfmoderation).


Fußnote 1:
Versiegelte Flächen: „Bordwiese“ 1 ha (geschätzt), „Am Berg V“ 4.4 ha, „Am Wingert“ 0,6 ha, „Bäckersgarten“ 2,1 ha, „Kreuzstraße“ 1,45 ha, in Summe 9,55 ha.
Zusätzliche 6,5 ha stehen für eine Erweiterung des Gewerbegebiets zur Verfügung. Derzeit sind rund 160 ha in Klein-Winternheim versiegelt. Das bundesweite Ziel einer Versiegelung von weniger als 30 ha pro Tag entspricht für Klein-Winternheim einer Versiegelung von 0,16 ha/Jahr. Das Ziel von Rheinland-Pfalz, heruntergebrochen auf Klein-Winternheim, liegt bei einem niedrigeren Wert als 0,1 ha/Jahr. Beide Versiegelungsgrenzen werden in Klein-Winternheim deutlich überschritten.


Fußnote 2:
Allgemeine Zeitung vom 9.3.2024: „Diskussion um geplante Wohngebiete kocht hoch“. In
Ebersheim könnten bis zu 2520 Wohneinheiten neu entstehen und die Bevölkerung nahezu verdoppeln.